Wanda, mein Wunder (2020) | Film, Trailer, Kritik (2024)

Die Schweizer Regisseurin Bettina Oberli interessiert sich in ihren Filmstoffen für Familiengefüge. Oft demontiert sie die oberflächliche Idylle, indem Geheimnisse ans Licht kommen, sich einzelne Familienmitglieder aus ihrer zugewiesenen Rolle emanzipieren oder die Familie unliebsamen Zuwachs bekommt. Es sind meist die äußeren Umstände, die das anfängliche Gleichgewicht stören und schließlich für den Bruch oder die Neuzusammensetzung sorgen. Nur zögerlich kommt es bei den Figuren auch zu inneren Impulsen und letztlich zu einer Entwicklung, die sie durchmachen würden. Das ist einer der Gründe, weswegen die Werke von Oberli in der Regel holzschnittartig wirken, wieso der Spagat zwischen Klamauk und Gesellschaftskritik nicht ganz aufgeht beziehungsweise letztere ziemlich plakativ ausfällt.

Die Herbstzeitlosen, der zweite Langspielfilm Oberlis von 2006, steht immer noch an zweiter Stelle der erfolgreichsten Schweizer Filme in Bezug auf generierte Zuschauerzahlen (die Spitze verteidigt unangefochten seit 1979 Die Schweizermacher von Rolf Lyssy, eine Komödie über die Schweizer Einwanderungspolitik). Auch in Deutschland war die Komödie um eine Seniorin, die sich mit der Eröffnung eines Dessous-Ladens in ihrem biederen Heimatort unbeliebt macht, relativ erfolgreich. Seitdem nahm die Karriere Oberlis Fahrt an. Sie gewann mehrere Filmpreise, drehte weiter mit namhaften Darstellern. Man könnte sie als Vertreterin der gehobenen Massenunterhaltung bezeichnen, für den ausgewiesenen Autorenfilm mischt sie zu sehr Genres, die nicht ganz zusammenpassen und den Eindruck vermitteln, möglichst auf ein breites Publikum abzuzielen.

So verhält es sich nun auch mit ihrer aktuellen Produktion Wanda, mein Wunder, für die sie gemeinsam mit der deutschen Cooky Ziesche, Produzentin und Drehbuchautorin mehrerer Filme von Andreas Dresen (Halbe Treppe, Wolke neun, Halt auf freier Strecke), das Drehbuch verfasst hat. Eine eindeutige Orientierung nach Deutschland ist übrigens sehr auffällig, sie zeigt sich vor allem in der Wahl des Hochdeutschen als Spielsprache, was zu einem ungünstigen Kompromiss führt. Die erzählte Geschichte spielt innerhalb einer wohlhabenden Schweizer Familie, die ihren Wohnsitz am Zürichsee hat. Vater (André Jung) und Mutter (Marthe Keller) sind Schweizer, die ein leicht Schweizerdeutsch gefärbtes Hochdeutsch sprechen, ihre beiden Kinde aber nicht. Während Birgit Minichmayr als Sophie mit ihrem österreichischen Akzent vielleicht noch durchgehen könnte, aber auch nicht wirklich, spricht der Berliner Jacob Matschenz als Gregi lupenreines Hochdeutsch. Unsinnig – oder zumindest opportunistisch – wirkt daher die Besetzung. André Jung, ursprünglich Luxemburger, hat eine Karriere in der Schweiz hinter sich und beweist entsprechend eine sprachliche Sensibilität fürs Schweizerdeutsch geprägte Deutsch, Marthe Keller ist Schweizerin und im übrigen die Schauspielerin, die die beste Leistung im Film erbringt.

Möchte man diesen Sprachaspekt nicht ganz so wichtig nehmen, bleibt die Tatsache, dass die Verhältnisse, von denen der Film spricht, nur wenig verortet sind. Dies bedeutet vor allem, dass eine entsprechend ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema ausländische Hilfsarbeiter kaum möglich ist. Die titelgebende Wanda, gespielt von einer souveränen Agnieszka Grochowska, die bisher in ihrer polnischen Heimat, durchaus erfolgreich, tätig war, ist Polin und hat eine Anstellung als Pflegerin in der Schweiz. Um Geld zu sparen, weil eine einheimische Pflegerin versichert werden müsste und sicherlich auch einen empfindlich höheren Stundenlohn verlangen würde, holt sich die, an sich wohlhabende, Familie Wegmeister-Gloor die Polin, die sich um den nach einem Schlaganfall bettlägrigen Patriarchen Josef (André Jung) kümmern soll.

Der 70-Jährige, der einst geschätztes Mitglied der Gesellschaft war, fühlt sich deprimiert und entwürdigt durch seine Krankheit. Die Beziehung zu Wanda gibt ihm allerdings neuen Lebensmut und hilft ihm schließlich, wortwörtlich, zurück auf die Beine, als Wanda auch noch ein Kind von ihm erwartet. Entstanden ist die Schwangerschaft nach einer kleinen Gefälligkeit nebenbei, denn Wanda braucht so viel Geld es nur geht, um ihre zwei Söhne in Polen zu unterhalten. Ob diese Entwicklung in der Geschichte glaubwürdig ist oder nicht, ist eine Sache. Fragwürdiger ist, dass sie auf unangemessen komödiantische Weise von dem Machtungleichgewicht zwischen den beiden Figuren erzählt, der auch in der Realität vermutlich zu finden ist.

Eine echte Gesellschaftskritik ist Wanda, mein Wunder, wie gesagt, auch aus diesem Grund nicht. Zum Thema ausländische Hilfsarbeiterinnen gibt es eine Reihe vielsagenderer Werke, man denke an die schweizerisch-deutsche Produktion Marija von Michael Koch, um nur eines zu nennen. Angedeutet wird der Druck, unter dem die Tochter der Familie, Sophie alias Birgit Minichmayr, steht, weil sie keine eigenen Kinder haben kann. Als sie von Wandas Schwangerschaft erfährt, bemüht sie sich, nach anfänglicher Empörung, dass ein neues Familienmitglied am Erbe beteiligt werden muss, selbst um die Elternschaft des Kindes. Diese Wendung dynamisiert den Film etwas, auch wenn sie durchaus voraussehbar erscheint.

Genauso voraussehbar wirkt die Figur des Sohns Gregi (Jacob Matschenz), der innerhalb der Familie als Versager angesehen wird, weil er keinen Beruf ergreift, den diese für ihrer würdig erachtet, und der sich seinerseits in Wanda verliebt hat. Alles in allem kommen hier Motive zusammen, die man so schon zu kennen glaubt. An der Kraft zur kritischen Erhellung fehlt es ihnen zumindest. Was also bleibt, ist eine an einzelnen — zu wenigen — Stellen durchaus unterhaltsame Komödie über eine sich erst auflösende und schließlich wieder zusammenfindende Familie, und zugleich ein weitgehend uneinheitlicher Film, der zu oft in den Klamauk verfällt: Dafür steht beispielsweise das Bild der Kuh, von Wandas Eltern aus Polen als Geschenk mitgebracht, die die „gutbürgerlichen“ Besitzer über den perfekt getrimmten Rasen der Villa jagt.

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Author: Nathanial Hackett

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