Scream VI: Review von lamb (Schnittberichte.com) (2024)

"Rache ist sauer." - George Orwell

Das erste Drittel von Scream VI ist großartig! Die erste Sequenz, mit der umwerfenden Samara Weaving, die an einem belebten Ort spielt, ist richtig gut und eine neuerliche Variation alter Themen im aktuellsten Gewand. Dieser Öffner ist wirklich gut geraten, auch weil unerwartetes passiert und die Autoren mit Klischees demaskieren, süffisant ausspielen und treffsicher kollidieren, um letztlich doch der abgekauten DNA Scream voll und ganz zu verfallen. Ein gelungener und nicht zu arg preschender Vorgeschmack, der dann einen brüchigen Film einleitet, der alte Zöpfe im ersten Hauch abzuschneiden weiß. Bekannte Musikmotive, typische Melodien und bildästhetische Trademarks kommen erst im letzten Teil der ersten Stunde auf die Leinwand, Auftritte von Figuren, die vor dem fünften Film schon dabei waren, sind kaum auszumachen und überhaupt scheinen die Macher weg vom durchaus altgedienten Schema. Die ersten Stiche und Schüsse, einige wahllose Morde und raue Gräueltaten sind in Detail und Ästhetik nicht ganz so ausgewalzt wie noch im Vorgänger oder dem vierten Film der Reihe, aber roh und direkt, wuchtig und rotzig. Scream VI scheint sich mit ersten Schritten einen Scheiß um Raster und Linien zu scheren. Vor allem flammt die Keilerei um Metaebenen dankbar auf absoluter Sparflamme. Keine seniles Palaver oder überfrachtete Referenzen, keine bunten Ostereier oder klugscheißende Verweise, kein Gelaber und keine Verbindung zu damals. Scream VI ist ruppig und ungeschönt, frei von beinahe dreißig Jahre altemBallast, zumindest für eine gute Zeit lang. Bis hier hin, für etwa fünfundvierzig Minuten, ist Scream VI der beste Film dieser Art seit langer Zeit.

Doch dann beginnt eine Art duselnde Aufarbeitungsphase mitsamt emotionalen Befreiungsversuchen, deren Finessen doch sehr durchwachsen sind. Der Wechsel nach New York ist zunächst vielmehr spurlos und unsichtbar, der Film sieht zuweilen aus, als spiele dieser überall. Dann treten Courteney Cox und Hayden Panettiere auf und schon ist es mit der Magie der scheinbar losgewordenen Altlasten aus. All das, was die Filmschöpfenden zuerst aufbauen, schaffen sie schnell und gründlich mit diesen alten Hasen ab, die bis auf wenige Augenblicke nicht mehr in diesen Film passen. Cameos oder bloße Erwähnungen wären besser gewesen, auch wenn Courteney Cox ein paar wirklich starke Szenen bekommt, nachdem sie mehrmals uninspiriert und ungefragt die Handlung unterbricht. Und damit geht auch das an für sich gar nicht uninteressante Rätselraten los und die alten audiovisuellen Kamellen halten ungewollten Einzug, Nick Cave und derlei. Die diesmal sehr bemühten Metareferenzenwerden von Jasmin Savoy Brown so nervig und lästig wie nie zuvor in der Reihe vorgetragen, denn es gibt ja Regeln und so weiter, nicht wahr. Gähn. Dieses zweite und zerfaserte, dieses ziselierte und wellenartige Drittel von Scream VI steht erstmal mit ordentlichem Abstand neben dem durchaus famosen Beginn, auch wenn die nun etablierten Hauptfiguren um Tara (Jenna Ortega) und Sam (Melissa Barrera) mehr Profil bekommen und ihr Schicksal nun auch mitreißt, weil es eben nicht nur Episode ist. Ich mag die beiden Damen, auch wenn das Gebotene nicht ganz an Sidney, Randy und Co. heranreicht. Dadurch wird nebenbei auch der vorherige Film arretiert und angehoben, gefestigt und passend eingebunden, ohne in Jubel auszubrechen.

- spoiler à l’intérieur -

Im letzten Drittel muss man allerdings sehr stark sein, um das irgendwie schön und halbwegs richtig zu reden. Hier entpuppt sich Scream VI als halbgebackene Lusche im Verderb, denn so richtig gestorben wird hier irgendwie nicht, zuwenigst nicht auf guter Seite. Wie, ihr kennt die Regeln nicht? Nun, alle haben es irgendwie geschafft. Diese durchweg sehenswerte Reihe war schon immer theatralisch drüber, die rastlosen Wendungen waren oftmals waghalsig, wirr und zusammengeschustert, voll von unplausiblen, blöden und verrückten Drehern. Scream VI ist da keine Ausnahme. Im Gesamten ist das ein Kunstruckt seiner selbst willen, aber das war ab Teil zwei die golden geglaubte Regel, nicht wahr. Oh ja, diese Regeln eben. Letztlich überschlägt sich wieder alles, auch wenn die darüberliegende Ebene mit dem alten, scheinbar ausgedienten Kino und dem Schrein im Angesicht aller Filme der Reihe eine schöne und effektiv genutzte Idee ist. Handlungsfäden laufen ineinander, Zusammenhänge werden gelüftet und ins rechte Licht gerückt, Tatsachen werden entlarvt, Fenster stehen nun wieder einmal geöffnet, um zu sehen, was nicht vor Augen zu liegen schien. Wild und nochmals wild ist das alles! Manchmal auch blind auf einem Auge und im Gegensatz dazu auch leider weniger interessant als früher. Der DNA-Strang Scream, mit all seinen Mustern und Wurzeln, mit all den Wänden und Abläufen, hat die Zeit nicht ausgetrickst. Unterhaltsam, weil schief dissonant, ist das alles, keine Frage, aber Logik und Brillanz sehen dann doch anders aus, auch wenn alle Dummheit in sich stimmig ist, egal wie wahnwitzig in den letzten Minuten aus dem Hut gezaubert wird. Immerhin das Rohe, das Rotzige und Direkte in der Tat bewahrt sich der Film, wenn auch die Grimmigkeit des Todes Auszeit vor manchen Protagonisten nimmt. Nicht schön, aber schmerzhaft.

Matt Battinelli-Olpin und Tyler Gillett, die schon den Vorgänger und den richtig tollen Ready or Not veranstalteten, geben sich filmhandwerklich keine Blöße. Scream VI sieht super aus, ist ordentlich und hochwertig gemacht, die Akteure sind der Sache dienlich, auch wenn keiner preisverdächtig spielt. Sogar die schicke Dreidimensionalität macht was her und ist unbedingt stimmungsvoll. Die Perspektiven stören nie, alles ist niedrig temperiert, Schnitt und Kamera sitzen, der Film ist nicht zu dunkel oder dergleichen. Einige Passagen machen in dritter DimensionLaune, auch wenn es schon lustig ist, wie schnell hier zwischen zwei Häusern eine passende Leiter zur Hand ist. Logisch und wahrscheinlich ist das nicht, aber in sich stimmig und möglich, wie wahr! Regeln, Muster und Zutaten. Die Autoren James Vanderbilt und Guy Busick, ebenfalls Schöpfer des Vorläufers, hätten es ohne Altlasten sicher einfacher gehabt, aber das starke Einspielergebnis, das ziemlich sicher ist, wird eher gegen meine Ansichten sprechen. Mir wäre es lieb, wenn beim nächsten filmischen Messerstich keine auserzählten Figuren mehr auftreten und man zur Abwechslung mal wirklich bösartig endet. Schon Scream Nummer vier hätte ich mir am Ende rabiater gewünscht, immerhin setzt Teil sechs zumindest mal einen Fuß zwischen gut und böse, der ambivalenten Sam sei dank. Das Ende peilt gen Zukunft, fast wie eine Parodie auf Marvel und Konsorten, alle positiven Schlüsselfiguren überleben wie von Zauberhand, Whodunit zum Verwundern und Wohlfühlen. Es wird viel aus dem Hut getrickst und Tote tricksen den Tod aus. Alles schon sehr versöhnlich und viel zu verzeihlich, aber das gehört in diesen Tagen wohl leider ins Regelwerk, möchte man das liebe Geld dann doch eher behaglich einheimsen. Leider Schönheitsflecken statt ätzendem Wundbrand.

Scream VI ist daher leider kein freier, aber auch kein schlechter Film, eben einer, der immer auszubrechen versucht, am Ende den Kampf gegen das Markenkorsett verliert, trotzdem noch auf dem Bronzetreppchen steht, und das zugeschnittene Handout nach Maß besser weggeschmissen hätte. Der originäre Beginn wird zunehmend verheizt, der solide Mittelteil schwankt und das bizarr vernetzte Finale lässt tatsächlich zu viele Figuren am Leben. Ein Wiedersehen nach den Regelbrüchen der Kunst schwant mir für den siebten Streich. Immer wieder blitzt es auf, immer wieder schneidet es, doch letztlich ist Scream VI Nummernrevue, vieles steht nebeneinander. Auf bald mit Rückruf, mit bestem Gruß.

6/10

Scream VI: Review von lamb (Schnittberichte.com) (2024)
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